Die Frage, wie Medienhäuser generative KI strategisch sinnvoll in ihre Redaktions-, Verlags- und Vermarktungsabläufe integrieren, wie sie Geschäftsmodelle entwickeln und sich weitere Zielgruppen erschließen, steht im Zentrum des aktuell in Wien eröffneten European Publishing Congress 2024, der die führenden Köpfe der europäischen Medienlandschaft – mit Teilnehmern aus rund 30 Nationen – zusammenbringt. Die anfänglich schier ungebrochene Euphorie über neue technische Möglichkeiten und Arbeitserleichterungen für Journalistinnen und Journalisten ist mittlerweile behutsamer Skepsis – und einem vorwärts gerichteten Pragmatismus beim Finden tragfähiger KI-Anwendungen gewichen.
„Aus den Nachteilen generativer KI versuchen wir, das Gegenteil herauszuholen“, sagte Ole Reißmann, KI-Chef beim Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“, in einem Werkstattbericht aus seinem Unternehmen. So sieht der frühere Technikredakteur des „Spiegel“ die Defizite populärer KI-Anwendungen kritisch – etwa die Unzuverlässigkeit von Antworten etwa auf Chat-GPT-Anfragen, die oft auch zu Falschangaben, zum „Halluzinieren“ oder zu KI-Lügen führen. „Die Maschine atmet einmal alles ein, danach weiß sie nichts mehr Neues“, sagt er. Um dem entgegenzutreten, erlaubt der „Spiegel“ den KI-Tools, mit denen das Haus aktuell arbeitet, Zugriff etwa auf die eigenen Archive.
Reißmann setzt KI beim Fact Checking des „Spiegel“ ein, um die Arbeit der hauseigenen Dokumentationsabteilung in Teilen zu entlasten. KI schreibt beim „Spiegel“ dagegen keine Texte – offenbar auch in Zukunft nicht. „Wir stehen für Originalität, nicht für Durchschnittlichkeit“, so Ole Reißmann, „für Exzellenz, nicht für Flüchtigkeitsfehler.“
Beim Fakten-Check helfe die Technik dagegen sehr wohl. Ein eigenentwickeltes Tool steht dazu im Haus ab sofort zur Verfügung. Dabei lässt Reißmann einzelne Artikel auf Satz-Ebene prüfen, sodass jede Fakteninformation verifiziert werden kann. Erst wenn KI keine ausreichenden, belastbaren Belege finden kann, greife die eigentliche Dokumentationsabteilung ein, berichtet Reißmann.
Von dem neuen Tool, das nun in eine Beta-Test-Phase geht, geht der Blick auch rückwirkend auf bereits publizierte „Spiegel“-Texte. So wird etwa untersucht, wie viele Frauen und Männer in früheren Texten vorkommen – in einer Art „Gender-Check“, um die Redaktionen zu sensibilisieren. „Wir nutzen KI, um unsere eigenen Vorurteile zu entdecken“, so Ole Reißmann.
Der European Publishing Congress richtet sich an Führungskräfte aus den Bereichen Redaktion, Digital, Design und Management. Er wird von Readly, dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und dem Land Niederösterreich unterstützt. Weitere Infos: https://www.publishing-congress.com
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